#closedbutopen
von Dieter Nägelke
Architekturzeichnungen und anderes aus 250 Jahren
Inv. Nr. 46585
Friedrich Wilhelm Titel
Entwurfzeichnung für einen Palast
Ansicht einer Fassade zu einem königlichen Palast
Handzeichnung: Tusche, Bleistift aquarelliert auf Papier
43,4 x 92,4 cm
Kaum ein Architekturmuseum sammelt Architektur, aber es gibt viele Gründe, Architekturzeichnungen zu sammeln. Der vielleicht älteste ist, mit dem Bauwerk auch die Bauidee dazu, eben den Plan festzuhalten. Denn während der Bau sich mit der Zeit verändert, verfällt oder umgestaltet wird, bleibt im Plan seine ursprüngliche Gestalt bestehen. Der Plan dient der Rückversicherung der gestalterischen Idee ebenso wie der technischen Konstruktion, dessen, wie ein Gebäude gedacht und wie es gemacht war. Aus diesem Grund - und nicht etwa aus Nostalgie – haben sich die ältesten uns bekannten Architekturzeichnungen, die Planrisse zu Klöstern und Kathedralen, erhalten. Demselben Zweck dienten die fürstlichen Plankammern, die seit der Renaissance fester Bestandteil der Höfe waren. Wann immer etwas erweitert, umgebaut oder auch nur repariert werden sollte, war es gut, sich des Ursprünglichen vergewissern zu können, um das Neue darauf aufzubauen. Je komplizierter ein Gebäude wurde, je raffinierter seine Konstruktion oder je ausgefeilter seine Technik, desto notwendiger war und ist es, Pläne davon zu haben.
Inv. Nr. BBWo 03,069
Bruno Taut / Bau- und Wohnungsgenossenschaft 1892
Siedlung Schillerpark, Berlin-Wedding
Barfusstraße 27-31, Block 16: Grundriss EG
Lichtpause Einzeichnung: Buntstift über Lichtpause auf Papier
36,2 x 71 cm
Die Tradition der Plankammer als Instrument der Bauunterhaltung lebt noch heute in den kirchlichen und öffentlichen Bauverwaltungen, aber auch in den Bauabteilungen großer Firmen fort - immer mit dem Risiko, dass Zeichnungen, die ihren Gebrauchswert verloren haben, ungeachtet ihrer historischen Bedeutung an den Rand gedrängt werden. Hier schlägt die Stunde der öffentlichen Archive, die neben solchen Beständen der praktischen Bauverwaltung auch die amtliche Überlieferung der Bau- und Planungsämter, ehemalige Firmenarchive oder auch Einzelnachlässe mit architektonischem Inhalt bewahren - und damit sicherlich den größten Teil dessen, was überhaupt an historischen Architekturzeichnungen erhalten ist.
Inv. Nr. 15069
Otto Rieth
Gedenkarchitektur für Bismarck
Ansicht eines Aufgangs
Handzeichnung: Tusche aquarelliert auf Papier
37,9 x 24,9 cm
Freilich motiviert sich das Sammeln von Architekturzeichnungen nicht allein aus ihrem praktischen oder kulturhistorischen Wert. Architekturzeichnungen geben nicht nur Zeugnis von Bauten und Bauideen, sondern haben - zumal wenn sie aus der Hand des Architekten selbst stammen - häufig einen hohen künstlerischen Eigenwert. Auch wenn der hochpreisige Kunsthandel sie erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts für marktfähig erklärte, ist die Architektenzeichnung schon seit der Renaissance Gegenstand privater Sammlungen. Aus Giorgio Vasaris (1511-1574) Libro dei Disegni ging später 26 die Architektursammlung der Uffizien hervor, aus den Privatsammlungen von Inigo Jones (1573-1652) oder John Soane (1753-1837) die des Royal Institute of British Architects. Eine ebenfalls private Sammlung des Pariser Architekten Hippolyte Destailleur (1822-1893) wurde 1879 von der Berliner Kunstbibliothek angekauft und noch 1979 war es eine Privatsammlung, die zum Nukleus des Canadian Centre for Architecture wurde.
Inv. Nr. 45563
Claude-Nicolas Ledoux / unbek. Künstler
Barrière du Trône, Paris
Perspektivische Ansicht
Handzeichnung: Tinte aquarelliert auf Karton
23,4 x 32,8 cm
Dass es vielfach Architekten waren (und sind!), die Architektenzeichnungen sammelten, nimmt dabei kaum Wunder. Architekten vermögen die künstlerischen Qualitäten dieses speziellen Genres ebenso wertzuschätzen wie sie für die eigene Arbeit fruchtbar zu machen, denn Skizzen und Entwurfsfolgen spiegeln neben der Lösung häufig auch das Ringen darum. Und das ist der vierte Grund, Architektur zu sammeln: Neben praktische, kulturhistorische und kennerschaftliche Motive tritt das didaktische Interesse, das sich freilich nicht allein auf Zeichnungen, sondern auf alle denkbaren Zeugnisse aus Entwurfs- und Bauprozess wie auch des fertigen Gebäudes richtet. So wurden neben den Archiven, Museen und Bibliotheken die Hochschulen der wichtigste öffentliche Sammler von Architekturzeichnungen. In unmittelbarer Folge der Systematisierung und Professionalisierung der Architektenausbildung ab Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden Lehrsammlungen mit Gipsabgüssen von Bauteilen und -ornamenten, Modellen, Stichwerken und Büchern, Drucken (später auch Fotografien) und nicht zuletzt natürlich Handzeichnungen aus Architektennachlässen oder anderer Herkunft.
Inv. Nr. 16218
Havestadt, Contag & Schmitz
Wettbewerb Groß-Berlin 1910
Perspektivische Ansicht (Vogelschau)
Handzeichnung: Kohle auf Transparent, auf Gewebe aufgezogen
51,6 x 76,8 cm
Neben ihren Schwesterhochschulen in Karlsruhe und München besitzt noch heute die Technische Universität Berlin eine der bedeutendsten Architektursammlungen Deutschlands. Als der Architekt und Professor Julius Raschdorff (1823-1914) 1886 das Architekturmuseum der Technischen Hochschule in Charlottenburg ins Leben rief, konnte er dafür auf die älteren Sammlungen der Berliner Bauakademie zurückgreifen. Dazu gehörten so prominente Nachlässe wie die David und Friedrich Gillys, die Modellsammlung, Entwürfe aus der preußischen Bauverwaltung und nicht zuletzt zahllose Studienarbeiten, die an der Bauakademie entstanden waren. Angegliedert und von Raschdorff in Personalunion geführt war außerdem das Schinkelmuseum, das schon 1844 in Karl Friedrich Schinkels ehemaliger Wohnung in der Bauakademie gegründet worden war - als erstes öffentliches Architekturmuseum Deutschlands überhaupt. Als Entwurfsprofessor führte Raschdorff das Museum als Vorlagensammlung - Meisterzeichnungen von Langhans bis Martin Gropius wurden ständig hinter Glas und Rahmen präsentiert, alles andere lag für die Öffentlichkeit und besonders für die Architekturstudenten in Mappen und Schränken geordnet innerhalb der Ausstellungsräume bereit.
Inv. Nr. 20583
Johannes Hendrik van den Broek
Ehrentempel
Perspektivische Ansicht
Handzeichnung: Bleistift, Tusche aquarelliert auf Transparent
49,1 x 70,8 cm
Selbstverständlich sammelte Raschdorff weiterhin ältere Architektur, noch mehr aber Zeitgenössisches und davon das, was seiner eigenen Auffassung am nächsten kam: Monumentalbaukunst nicht nur aus Berlin, sondern aus dem gesamten Deutschen Reich und darüber hinaus. Als historistische Sammlung im doppelten Sinne - sie umfasste historische Vorbilder und führende Beispiele historistischen Bauens - musste das Museum mit dem Durchbruch der Moderne nach dem Ersten Weltkrieg allerdings in den Hintergrund treten. Dieses Schicksal teilt die Berliner Sammlung mit ihren Schwestern in Karlsruhe und München, auch wenn sie immerhin nicht ganz geschlossen, sondern mehr oder weniger kontinuierlich als Teil des Lehrstuhls für Baugeschichte geführt wurde. So kamen, wenn auch spärlich, in den Zwanziger- bis Sechzigerjahren weitere Nachlässe und anderes Material hinzu. Der eigentliche Neubeginn aber vollzog sich erst in den Siebzigerjahren, als sich nicht nur an den Hochschulen, sondern auch in Archiven, Museen und schließlich auf dem internationalen Kunstmarkt ein neues Interesse an Architekturzeichnungen zu entwickeln begann.
Inv. Nr. HP 023,039
Hans Poelzig
Werkbund-Ausstellung, Stuttgart-Weißenhof
Perspektivische Innenraumansicht mit grünem Armlehnstuhl
Handzeichnung: Kreide auf Papier
33,7 x 40 cm
Parallel zu einer weltweiten Gründungswelle von Architekturmuseen von Stockholm (1969) über Basel bis Frankfurt (beide 1984) stellten sich die Universitätssammlungen neu auf, forcierten die wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer Bestände, bemühten sich um Neues und präsentierten sich der Öffentlichkeit. Das Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin konnte seine Bestände zwischen 1945 und heute auf etwa 180.000 Objekte (darunter 30. 000 Fotos) mehr als verachtfachen, Karlsruhe zählt aktuell 270.000 Pläne und 500.000 Fotos, München 500.000 Pläne und 100.000 Fotografien. Daneben stehen in Deutschland weiterhin die Archive, die Architektursammlungen der Bibliotheken, Museen und der Akademien sowie seit einigen Jahren auch neue Einrichtungen, die wie in Hamburg oder Schleswig-Holstein aus der Kooperation von Berufsverbänden und öffentlichen Instituten entstanden sind. Die enge Kooperation der meisten architektursammelnden Institutionen untereinander hilft, die Sammlungsgebiete abzustimmen, sich gegenseitig Nachlässe zu vermitteln und Eifersüchteleien zu vermeiden.
Inv. Nr. GG 101,333
Gerhard Graubner
Schauspielhaus, Bochum
Zuschauerhaus Innen: perspektivische Innenansicht Halle
Handzeichnung: Tusche, Bleistift auf Transparent
73,8 x 71,1 cm
Dennoch ist das Sammeln kaum einfacher geworden. Musste in den Siebzigerjahren die große Zahl von unwiederbringlich durch Krieg, mehr aber noch durch Ignoranz verloren gegangener Nachlässe beklagt werden, so drohen die Sammlungen heute unter der schieren Menge des aktuell aus Büroauflösungen und Nachlässen auflaufenden Materials zu ersticken. Haben Architektennachlässe aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg selten mehr denn einige Tausend Blatt, sind es heute ganze Lkw-Ladungen, die jahrzehntelang erfolgreiche Büros hinterlassen. Ihnen gerecht zu werden, erfordert neben Mappen, Schränken, Raum und Zeit vor allem MitarbeiterInnen - ArchitektInnen, Architektur- oder KunsthistorikerInnen-, die diese Fülle qualifiziert bewerten und schließlich auf das Wichtige und Typische reduzieren können. Denn Sammeln heißt immer auch auswählen!
Allerdings ist ein Ende der materiellen Papierflut - ausgelöst nicht zuletzt durch die Vervielfältigungstechniken der vergangenen Jahrzehnte - in Sicht. So sehr Skizze und handgezeichneter Entwurf auch in Zukunft der kostbare Kern eines Architekturmuseums bleiben werden, so sehr werden digitale Medien den Alltag bestimmen. Noch überwiegen Papiernachlässe, aber auch CAD ist inzwischen seit über 30 Jahren in Gebrauch, und so ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis statt Papierrollen Datenträger übergeben werden. Schon heute sind wie in Berlin oder München die Sammlungen bemüht, ihren historischen Bestand hochauflösend zu digitalisieren - nicht um ihn durch das digitale Bild zu ersetzen, sondern um ihn besser zugänglich zu machen und dabei die kostbaren Originale zu schützen. Zugleich aber wird damit die Struktur geschaffen, in die sich auch das neue, digital geborene Material wird eingliedern lassen: eine virtuelle Architektursammlung, in der schließlich auch die räumlich verteilten Archive zusammenwachsen und der alte Traum vom Universalarchiv als Plankammer, Vorbildsammlung und Schatzkästlein zugleich Wirklichkeit werden kann.