arrow_back arrow_forward

Vom Sinn des Ornaments

Georg Thür
Erechtheion auf der Akropolis, Athen (1867)

von Dieter Nägelke

Inv. Nr. 375
Georg Thür
Erechtheion auf der Akropolis, Athen
Querschnitt
Handzeichnung: Aquarell auf Karton
48,4 x 54 cm

Eine der prägendsten Gestalten für die Berliner Architektenausbildung im 19. Jahrhundert war der Architekt, Kunstgewerbler, Archäologe und Direktor der Berliner Skulpturensammlung Carl Wilhelm Boetticher. Zwischen 1839 und 1875 lehrte er an der Bauakademie mit »Freihand- und Ornamentzeichnen« ein Fach, das weitaus mehr als die bloße Vermittlung zeichnerischer und dekorativer Grundkenntnisse für sich beanspruchte. Im selbstbewussten Anschluss an die unvollendet gebliebene Theorie Karl Friedrich Schinkels entwickelte er ein Lehrgebäude, das ausgehend vom klassischen griechischen Tempel die Gestalt jedes einzelnen Bauteils als notwendigen und folgerichtigen Ausdruck des Ganzen und seiner konstruktiven Bedingungen interpretierte. Die Summe seiner Überlegungen veröffentlichte Boetticher 1852 unter dem Titel »Tektonik der Hellenen« – als historische Analyse, nicht weniger aber als Lehrbuch, Formenlehre oder – wie sein Schüler und Nachfolger Johann Eduard Jacobsthal (1839–1902) seine praktische Fortsetzung schließlich nannte – »Grammatik der Ornamente«.

Inv. Nr. B 3615,41
Carl Boetticher
»Tektonik der Hellenen« (Tafelband, 2. Auflage Berlin 1874)
Tafel 41: Ansicht, Grundriss Tempel
Druck: Stich auf Papier
44,1 x 30,4 cm

Gleichwohl sich schon früh Kritik am unkünstlerischen Schematismus dieser Methode rührte, mussten sich noch bis in die 1920er Jahre hinein unzählige Architekturstudenten in ihren ersten Semestern daran abarbeiten. So entstanden schematische Ornamentübungen als Kopien nach Vorlageblättern, aber auch phantasievolle, zeichnerisch bestechende Studienzeichnungen wie diese Rekonstruktion des Erechtheion, mit der der später als Staatsbaubeamte erfolgreiche Georg Thür auf die Forschungen Boettichers zur antiken Polychromie Bezug nahm.