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Bloß keine Mottenkiste!
Zukunft und Vergangenheit der Berliner Bauakademie
Dieter Nägelke und Bénédicte Savoy
(erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.11.2016, S. 17)
Seit zwölf Jahren schon wirbt eine Simulation aus bedruckten Folien für den Wiederaufbau der Bauakademie am Schinkelplatz. Inmitten einer Wüste bietet sie als buntes Zelt Raum für allerlei Ausstellungen und Tagungen, die das Potenzial des Ortes für die Vermittlung von Architektur und Wissenschaft ausloten. Nun hat sich die Wüste schwupps! versteinert. Mit der nahenden Eröffnung des Humboldt Forums zur einen und einem edlen Wohnkarrée zur anderen Seite mag das seiner Vollendung entgegen eilende Berlin die Poesie des Provisoriums nicht mehr leiden. Nun will der Bund mit 62 Millionen schaffen, was Berlin seit zwei Jahrzehnten nicht vermochte. Das ist gut und die Zahl realistisch. Aber mit Ideen von gestern werden wir der Bauakademie von morgen nicht gerecht.
Als die Bauakademie vor 180 Jahren eröffnet wurde, war ihrem Schöpfer Karl Friedrich Schinkel sein modernstes Werk gelungen. Städtebaulich, indem sie als markanter Eckstein das offene Verhältnis von königlichem Schloss und Lustgarten zum bürgerlichen Friedrichswerder vermittelnd klärte. Konzeptionell, indem sie Bauverwaltung und Bauschule unter ein Dach brachte und so den von Schinkel gepflegten und erfolgreichen Pragmatismus der preußischen Architektur nachhaltig sicherte. Vor allem aber architektonisch: Über quadratischem Grundriss mit acht auf acht Achsen errichtet, bildeten ihre vier gleichen Fassaden die innere Struktur unmittelbar ab. Das war ebenso neu, wie es mutig war, ein öffentliches Gebäude in Backstein zu errichten. Die perfekte Anwendung des roten Ziegels und seine Verfeinerung durch Terrakotta-Elemente, die als plastisches Bildprogramm zugleich die Bestimmung für die technischen Künste ausdrückten, wurden wegweisend für die Baukunst der folgende Jahrzehnte in Preußen und weit darüber hinaus. Die Konsequenz, mit der Schinkel Material und Konstruktion, Nutzung und Gestalt, Sparsamkeit und Nachhaltigkeit verband, ließ die Bauakademie zur Inkunabel und Ikone der Moderne werden – und zum Vorbild und Anspruch aller, die darin arbeiteten, lehrten und lernten.
Aus der Bauakademie ging 1879 die Technische Hochschule Berlin hervor und blieb dort bis zur Eröffnung ihres heutigen Hauptgebäudes 1884. Auch das Schinkel-Museum, das 1844 in Schinkels ehemaliger Wohnung im Dachgeschoss eingerichtet worden war, zog mit um und blieb lange Zeit Teil des Architekturmuseums, das als ältestes seiner Art bis heute an der Technischen Universität Berlin gepflegt wird. Das verwaiste Gebäude erhielt in der Folgezeit wechselnde Bewohner, die mit Architektur allerdings wenig zu tun hatten. Die programmatische Übereinstimmung von Bau und Nutzung war dahin.
Auch deshalb begann die DDR die Wiederherstellung des im Krieg beschädigten Gebäudes als “Deutsche Bauakademie”, die mit bewusstem Bezug auf Schinkel wieder Forschung und Planung zugleich dienen sollte. 1953 wurde Richtfest gefeiert, doch bald darauf im Zuge der sozialistischen Zentrumsplanungen der weitere Ausbau gestoppt. 1962 wurde die Bauakademie unter internationalem Protest dem Neubau des Außenministeriums geopfert.
Sie blieb in den Herzen. Seit dem Abriss des Ministeriums 1995 wird ihr Wiederaufbau gefordert. Und darum gestritten: Die Frage nach der Legitimität von Rekonstruktionen stellt sich auch und gerade an einem herausragenden, aber eben doch auf immer verlorenen Bauwerk – weg ist weg und wiederholen ist gestohlen? Unzählige Pläne wurden seitdem gemacht. Von einer Vereinigung der vielen Berliner Architektursammlungen zu einem großen, vielleicht nationalen Architekturmuseum war die Rede, von einem von der Bauwirtschaft getragenen Zentrum für Baukultur oder von einer privaten Bauschule, die den Geist Schinkels von Meister zu Schüler reichen will, ohne dabei von den Unbequemlichkeiten oder dem Widerspruchsgeist universitärer Niederungen behelligt zu sein. Zwei Vereine wurden gegründet und private Investoren und Förderer gesucht. Zwischenzeitlich erwog das Auswärtige Amt, hier zu expandieren. Doch es blieb wie oft in Berlin: Nutzungsvisionen ohne Bauherren mangelt es an Blut, Bauvisionen ohne Bewohnern an Seele.
Es gibt gute Argumente für ein Gebäude an diesem Ort: Der Stadtgrundriss würde verständlicher und das Stadtbild komplett. Wer einen feinen Sinn für urbane Strukturen hat, den schmerzt die Lücke. Es ist großartig und großzügig, dass der Bund sich jetzt der Sache annimmt. Einen Zwang zum schnellen Bauen begründet es nicht. Solange keine wirklich sinnvolle, zukunftsweisende und von einer breiten Übereinkunft getragene öffentliche Nutzung der Bauakademie gefunden ist, bleibt eine gut gestaltete Grünfläche allemal besser. Den Geburtsfehler des Schlosses, zunächst das Haus und erst danach die Nutzung zu denken, brauchen wir nicht wiederholen. Es ist höchste Zeit, der neuen Bauakademie mit jener Gegenwärtigkeit und jenem Mut zum Neuen zu begegnen, derer die alte gerühmt wird.
Die Themen von Architektur, Stadt- und Raumplanung sind das Verstehen und die Formung unserer Lebensräume - historisch, ästhetisch, funktional, sozial und technisch. Im 19. Jahrhundert gehörte das alles noch zusammen. Im 20. Jahrhundert sind die Fachdisziplinen weit auseinandergedriftet. An seinem Ende ließ das Ungenügen daran den Wunsch nach einer Rückbesinnung auf die Regeln und die Formen jener Zeit entstehen, in der die Welt noch geordnet, die Theorie geschlossen, das Entwerfen ganzheitlich und das Schöne gesetzt waren. Schinkel und die Bauakademie sind eine treffliche Projektionsfläche dieser Sehnsüchte. Weit jenseits solcher nostalgischen Bedürfnisse indes sind Forschung, Lehre und Entwurf längst neu, anders und fließend vernetzt, ist eine trans- und interdisziplinäre Praxis selbstverständlich geworden. Die Gegenwart als unübersichtlich zu erleben, ist ein Privileg der Älteren. Junge Menschen bewegen sich darin wie Fische im Wasser. Mit ihren Aus- und Weiterbildungen, Studienmodulen und -abschlüssen konfektionieren sie sich passgerechte Qualifikationen selbst. Sie wissen, dass weder Gegenwart noch Zukunft fertige Lösungen für sie bereithalten. Eine Bauakademie, die als Museum, Bauschule oder Bibliothek auf Konzepte des vergangenen oder vorvergangenen Jahrhunderts zurückgreift, hieße ihrer Generation eine Mottenkiste hinzustellen. Unbequem muss sie sein, ein Ort der Widersprüche, frei und im Sinne Schinkels, der ein visionärer Pragmatiker war: poetisch. Unbedingt muss das Grundstück Schinkelplatz 1 einem Haus für Architektur, Stadt- und Raumplanung, ihrer Anschauung und ihrer Vermittlung gewidmet sein. Das Anknüpfen an die Geschichte des Ortes bietet dafür nur den Anlass. Das Humboldt Forum möchte eine Schnittstelle zwischen Kultur, Wissenschaft und Öffentlichkeit bilden. Architektur als öffentlichster aller Künste, als Kristallisation sozialer Prozesse, technologischer Möglichkeiten und kultureller Anschauungen aber hat darin kaum Raum. Auch Bauen reflektiert die Vergangenheit, sein Wirkungsfeld aber ist die Zukunft. Bauen handelt von Erfordernissen, Möglichkeiten, Prozessen und Entscheidungen, die in der digitalen und globalisierten Stadt 4.0 rasant an Komplexität gewinnen. Wie wollen und können wir wohnen unter den Vorzeichen von demografischem Wandel und Zuwanderung? Wie das Verhältnis von Privatem und Öffentlichem in einer vernetzten Stadt gestalten? Wie vertragen sich Nachhaltigkeit, Gestaltung und Wertschöpfung im Bauen? Wie Eigensinn, Vernunft und Mitbestimmung? Wieviel Eigentum verpflichtet wen? Wie smart ist ein smartes Home? Diese und viele andere sind Fragen der Architektur und ihrer Nachbarwissenschaften, die längst die Wirklichkeit bestimmen. Sie gehen alle an. Sie neugierig zu denken und sie über Fachkreise hinaus sichtbar und transparent werden zu lassen, halten wir für die Bestimmung der Bauakademie: in Vorträgen, Diskussionen, Tagungen, Workshops und anderen partizipativen Formaten, mit querdenkenden Akteuren und analog zum Humboldt Forum mit Partnern aus Bund, Land und der Technischen Universität Berlin, die damit an ihren Ursprung zurückkehrte.
Und das große Architekturmuseum, das immer wieder durch die Debatten geistert? Die Stadt beherbergt einige hochkarätige Sammlungen, nicht aber jenes eine Haus internationaler Strahlkraft, so wie es sich mancher als weitere Perle am Rande der Museumsinsel vielleicht wünscht. Doch an eine Verschmelzung aller oder auch nur einiger dieser Sammlungen ist schon aus rechtlichen und inhaltlichen, erst recht aus praktischen Gründen nicht zu denken. Sie sind zu verschieden und das Haus viel zu klein. So reicht es aus, wenn neben einem Schinkel-Kabinett und einem Bereich zu aktuellen Themen Berlins nur eine Sammlung den Ort besetzt und zugleich offen hält für alle anderen. Das Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin ist dazu bereit und in der Lage. Seine Bestände sind es allemal wert, seine Ausstellungen und seine digitalen Offensiven der vergangenen Jahre belegen seine Kompetenz und seine Bereitschaft für Vernetzung und Kooperation. Ausstellungen zu Architektur und Städtebau können Publikumsmagnete sein, aber sie müssen es nicht. Unverzichtbar sind sie für das Verständnis und den Dialog. Ausstellungen historischer Themen erklären, wo wir herkommen. Sie weiten unsere Wahrnehmung und lösen uns aus unserer Befangenheit im Jetzt. Ausstellungen mit aktuellem Fokus weisen von der Gegenwart in die Zukunft hinein. Um über Bau- und Stadtbaukunst, um über Raumplanung und Technik zu sprechen, muß man sie sehen. Architekturausstellungen leben weniger von Ikonen, denn von Fragen. Sie sind nicht museal. Dialogisch ergänzen und erweitern sie das offene Haus, das die Bauakademie werden soll.
Tradition kann man nicht sich nicht aussuchen – sie ist oder sie ist nicht mehr. Schinkel war sich des geschichtlichen Bruchs bewusst, den Industrie 1.0 für sein Zeitalter bedeutete. So erhielt die Bauakademie ihr Gesicht: “Historisch handeln ist das, welches das Neue herbeiführt und wodurch die Geschichte fortgesetzt wird. Aber dadurch, dass die Geschichte fortgesetzt werden soll, ist sehr zu überlegen, welches Neue und wie dies in den vorhandenen Kreis eintreten soll”. Sieht die neue Bauakademie aus wie 1836? Trägt sie diesen Namen? Nein, das muss sie nicht. Doch ja: sie darf. Kubatur und Geschossfolge sind passgenau. Im Innern modern und in ihrer Bestimmung zukünftig, wäre sie souverän genug, mit dieser Referenz umzugehen.
Der Architekturhistoriker Dieter Nägelke ist Leiter des Architekturmuseums der Technischen Universität Berlin und Vizepräsident der Internationalen Bauakademie e.V..
Leibniz-Preisträgerin Bénédicte Savoy lehrt Kunstwissenschaft an der Technischen Universität Berlin und am Collège de France in Paris.
Gemeinsam mit dem Architekturkritiker Nikolaus Bernau haben beide im Provisorium der Bauakademie zuletzt die Ausstellung “Museumsvisionen” kuratiert.