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Geschichte bauend aneignen

Geschichtsphilosophische Betrachtungen zu Schinkels Berliner Bauakademie

Von Jörg Gleiter

(erschienen 4/2017)

Von Jörg H. Gleiter Schinkels Berliner Bauakademie löst immer wieder einen kleinen Schock aus. Es ist aber beileibe nicht der Kasten aus roten Klinkern, nein, es ist dessen Modernität, die in der äußeren Erscheinung zur Sichtbarkeit und Erkennbarkeit kommt. Und echte Erkenntnis lässt nie unbeteiligt. „Ist das nicht total modern?“, rief Bruno Taut vor gut 80 Jahren bei seinem Besuch von Katsura-riky¾ in Kyoto aus. Dabei handelt es sich um einen Prinzenpalast aus dem 17. Jahrhundert, der erst dank Taut restauriert und ein Nationaldenkmal wurde. Aber das braucht kein Widerspruch zu sein! Zeitgenossenschaft – das bedeutet „Modernität“ im eigentlichen Sinne – ist keine Sache nur von Gegenwärtigkeit oder aktueller Praxis.

Die Herausforderung, vor die uns Schinkels Bauakademie stellt, ist die Frage nach dem Modell der Geschichte, mit dem wir uns in den Lauf der Zeit einbinden und unsere Werturteile begründen. Ohne ein Modell der Geschichte lässt sich die aktuelle Praxis nicht hinreichend verstehen. Wir sind immer historisch Gewordene, was nicht nur für das Denken, sondern auch für die Emotionalität gilt. So prägt uns auch der materiell, räumlich und symbolisch verdichtete Raum von Architektur und Stadt in emotionaler Hinsicht. Die Mitte Berlins im Allgemeinen, Schinkels Architekturen nach 1815 und das Gebäude der Bauakademie im Besonderen ragen hier in besonderer Weise heraus, weil in ihnen die bis heute noch prägenden Werte mittels Architektur hypostasiert, das heißt verräumlicht und verkörpert und im Alltag präsent sind.

Aus der Gegenwart heraus bauend sich die Geschichte aneignen, das war eines der zentralen Anliegen Schinkels nach den Befreiungskriegen 1815. Schinkel war sich bewusst, dass die Geschichte nicht einfach so auf die jeweilige Gegenwart kommt. Es ist ein moderner Irrtum, dass Traditionen nur eine Richtung kennten und nur aus der Geschichte in die jeweiligen Gegenwarten wirkten. Im Gegenteil, jede Generation muss sich aus der eigenen Perspektive eine Spur aus der Vergangenheit zur eigenen Zeit und damit zu sich selbst bahnen. Indem die Gegenwart das aktuell Neueste im Alten erkennt, schafft sie erst die Traditionslinie, die bedeutungsvoll hin zur eigenen Gegenwart führt. Traditionen sind eben immer ein von Jetztzeit infiziertes Historisches. Und Schinkels Berliner Bauakademie ist ein solches von Jetztzeit infiziertes Historisches. Es ist ihre zweihundertjährige Modernität, die immer wieder kleine Schocks auslöst, besonders für diejenigen Zeitgenossen, die glauben, alleine an der Spitze des Fortschritts zu schreiten. Sie ist es aber nicht nur der Idee nach, sondern hält auch materialiter die Durchdringung mit Jetztzeit aus. Mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist sie zeitgenössisch.

Prof. Dr.-Ing. Jörg H. Gleiter lehrt an der TU Berlin Architekturtheorie. Er ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Architektur.